Sonntag, September 26, 2010

Ichschreibung



Aus dem Buch "Endlich Nichtdichter" von Antonius Nabatäus von Hardstängel, Kapitel 21:
Authentismus - wer gegen Dämonen kämpfen will, muss selber einer werden

In den meisten so genannten Poesieforen herrscht die Meinung vor, dass nur selbst gefühltes, erlebtes, durchlittenes einer lyrischen Beschäftigung würdig und der persönliche Hintergrund der Dichtperson von entscheidendem Belange ist. Hierbei wird höchster Wert gelegt auf eine möglichst dicht am Geschehen angelegte Schreibart. Dies ist ein modernes Konzept, welches sich abwendet von der altmodischen Idee, etwas verdichten, aus dem tatsächlichen Kontext herausnehmen zu wollen, sich der Maske eines lyrischen Ichs zu bedienen. Wie mein geschätzter Kollege Engelbert Edelkraut in seiner Streitschrift "Ich bin ich und du nich" überaus differenziert darlegt, funktioniert diese Herangehensweise in einer Zeit nicht mehr, in der der Künstler als ganzheitliches Wesen das Publikum da abholen muss, wo er selber steht: im Ich. Klar strukturierte Selbstreferenz ist das Gebot der Stunde, Offenlegung der innersten Gebiete, Gebrechlichkeit zur Waffe machen ist gefragt. Das Ich gibt die Koordinaten ein in das GPS-System, mit dem das Ich sich zu finden sucht, auf dem Weg über das Es und das Überich. Übrig bleiben da oft genug verlaufene Persönlichkeiten, von sich selbst enttäuschte Phantasten, ruinierte Restegos mit dem Stolz eines sich selbst verprügelnden Hundes.
Zusätzlich verleitet das sogenannte Internet dazu, alle Facetten einer selbst definierten Persönlichkeit offen zu legen und als echt, wahr und eigentlich anzubieten. Wer könnte da sagen, was stimmt und was nicht, wo liegt die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit? Behaupten kann zunächst jeder alles, doch sich zu behaupten in einer oft wenig wohlwollenden Umgebung ohne Empathie, das fällt gerade jenen schwer, die einer bedächtigen, professionellen Unterstützung am meisten bedürften, den verzweifelt schreibenden. Hier nun möchte ich zum Schluss kommen dieses Kapitels, mit den einfachen Worten: jede Zeile, die sich nur mit sich selber beschäftigt und vom Leser den Eintritt in ein geschlossenes, vom Authoren gefertigtes System verlangt, ist eine zuviel.

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