Mittwoch, Mai 14, 2008

Im Fort



04.07.2026
Ich schreibe diese Zeilen in der Hoffnung, dass sie eines Tages gefunden und gelesen werden, damit sich unser Schicksal nicht im Dunkel verliert und wir nicht gänzlich in Vergessenheit geraten.
Gestern Nacht gab es wieder einen Angriff, diesmal auf das Westtor und die schwache östliche Pforte, welche gerade erst notdürftig repariert worden war. Die gegnerischen Truppen schienen äußerst gut organisiert und sehr motiviert, so dass wir große Mühe hatten, die Stellung zu halten. Welche Verluste der Feind zu erleiden hatte, lässt sich nicht abschätzen, auf unserer Seite sind zwei Tote und drei schwer Verwundete zu beklagen, womit die Anzahl der wehrfähigen auf achtundsechzig sinkt. Die meisten davon sind allerdings nur bedingt einsatzfähig, übermüdet und ausgelaugt. Das Lazarett ist überfüllt, Ärzte und Krankenschwestern arbeiten im Akkord, die Vorräte an Medikamenten und Verbandszeug gehen zur Neige. Lebensmittel und Trinkwasser reichen, bei strenger Rationierung, noch für eine Woche. Wenn in dieser Zeit kein Transport durchkommt, sind wir verloren.
Um die Moral zu heben, erzählen die Leute sich Geschichten über einen baldigen Entsatz, in der Kapelle wird pausenlos gebetet, jedes gelegentliche, entfernte Motorengeräusch wird gedeutet als das eines heranschwebenden Hubschraubers, der uns aus dieser auswegslosen Situation herausholt. Oder wenigstens Verstärkung hereinbringt. Wir stehen in ständigem Kontakt zu den umliegenden Forts, überall die gleiche Notlage. Es scheint, als wären wir dem Gegner unterlegen, zahlen- wie kräftemäßig. Am Sonntag ging St Remigius verloren, es war wohl Verrat im Spiel. Ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, wie eine derart starke Festung untergehen kann. Das Schicksal der Bewohner mag ich mir kaum vorstellen, aber man weiß darum: die weniger betuchten werden auf der Stelle massakriert, Beamte und Bessergestellte werden in die Rentensklaverei verschleppt. Sie müssen ihre Bezüge den Siegern zur Verfügung stellen und ihre Testamente zu deren Gunsten ändern und werden dann in Lagern knapp am Leben gehalten, unter den unwürdigsten Bedingungen.
08.07.2026
Gerade komme ich von einer Lagebesprechung, jetzt wird die Munition knapp. Wir werden das Gartenhaus abreißen und die Steine in die oberen Stockwerke schaffen, um sie als Wurfgeschosse zu verwenden. Schade, ich habe ruhige Stunden verbracht in dem wunderschön angelegten Garten mit seinen Hochbeeten voll duftender Kräuter und Blumen. Jetzt aber verleiden die vielen frischen Gräber den Aufenthalt.
Herr Merkurt und Frau Bodewitz aus der Abteilung für unheilbare Krebsfälle haben sich freiwillig bereit erklärt, beim nächsten Angriff einen Ausfall zu unternehmen. Wir werden ihre Elektromobile zu rollenden Bomben umbauen und sie wollen versuchen, bis in die Nähe der gegnerischen Führer zu gelangen, um dort sich und möglichst viele Feinde in die Luft zu sprengen. Bedauerlich, dass wir uns gezwungen sehen, zu solch unritterlichen Mitteln zu greifen. Wir werden ihnen einen Großteil unserer Morphiumvorräte verabreichen, damit sie nicht zu sehr leiden.
12.07.2026
Es ist ein wunderschöner Sommertag, gerade richtig zum Sterben. Die Außenwände sind zerstört, wir haben uns in der Kapelle verschanzt und erwarten das Ende. Die Kampfmoral ist dahin, viele haben ihre besten Kleidungsstücke angezogen und ihre Rentenbescheide gefälscht, um vielleicht doch noch einem sofortigen Tod zu entkommen. Nur einige wenige außer mir sind entschlossen, Widerstand bis zum letzten zu leisten. Wir haben unsere Krücken angespitzt und bilden eine geschlossene Reihe vor der Tür, die Rollstuhlfahrer vorne, dahinter die Rollatorabteilung. Selbst ein Bettlägriger hat sich gemeldet und bildet die Nachhut.
Ich muss jetzt aufhören zu schreiben, von draußen erkling der Kampfschrei "Her mit der Pension" aus Hunderten jugendlicher Kehlen. Gnade haben wir nicht zu erwarten.

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