Mittwoch, April 27, 2011

Liebes Tagebuch 1



Liebes Tagebuch
21.04.2034

Wieder kein Biomobil zugeteilt bekommen. Unser zuständiger Carsharer ist einfach zu streng. Nur weil die Auswertung meines letztwöchigen Eßverhaltens sich ungünstig auf meinen BMI ausgewirkt hat, soll ich zwei Wochen mit dem Dienstdreirad fahren und bin in der Kantine auf Diät gesetzt. Hätte besser doch nicht am Protestgrillen teilgenommen.

"Gün/Der Tag
Duisburg, 20.04.2034

Von unserem Korrespondenten Moustapha Al-Schmitz

Bundeswehr stellt Ordnung her

Nachdem es in der letzten Woche während des Aufgrillens im Böninger Park zu Handgreiflichkeiten kam, als sich vermehrte Beschwerden wegen der Verbreitung von Schweinsmolekülen erhoben und sich handgreifliche Auseinandersetzungen über das gesamte Stadtgebiet verbreiteten, kam es gestern früh gegen 11:11 zu erheblichen Ausschreitungen, den so genannten Grillaufständen. Eine bisher unbekannte Gruppe namens Barbeque-Bandidos, unbestätigten Meldungen zufolge eine Unterabteilung der berüchtigten Grill-Guerilla, stürmte plündernd und brandschatzend das Rathaus. Der Oberbürgermeister Muhammad Haji Sauerland konnte der aufgebrachten Meute nur durch einen Sprung aus dem Fenster seines im ersten Stockwerk gelegenen Büros entkommen, wobei er sich eine ernste Bartverletzung zulegte, welche in der Düsseldorfer Uniklinik behandelt wird. Er befindet sich außer Lebensgefahr.
Ein geplantes Schweinenackenattentat auf den Kalifen von Marxloh, Mehmed Meyer-Menderes, konnte durch ein beherztes Eingreifen der neugegründeten Abteilung zur Niederhaltung abweichenden Verhaltens beim Sonderministerium in letzter Minute abgewendet werden. In einem durch die vermutlichen Täter angemieteten Lagerhaus wurden zahlreiche abgelaufene Würstel, Kottelettes, Bauchspeckgürtel und mehrere Fässer voll Schweinsgülle sichergestellt, die zur ordnungsmäßigen Vernichtung den zuständigen Ämtern übergeben wurden. Es bestand deren Angaben zufolge zu keiner Zeit eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung.
Nach ernstzunehmenden Ankündigungen der autonomen "Duisburg in den Rhein"-Aktivisten, die damit drohten, Deiche zu sprengen und sämtliche tiefergelegenen Gebiete den Fluten zu überantworten, besetzte gestern die dritte Brigade des Heimatschutzheeres wichtige Knotenpunkte und schritt zu ersten Verhaftungen. Sämtliche Rädelsführer seien aus dem Verkehr gezogen, verlautete es aus gewöhnlich zuverlässigen Kreisen. Unbestätigt sind Meldungen, nach denen es zu rätselhaften Selbstmorden gekommen sein soll, vermutlich handelt es sich um Opfer der gemeinen Schweinepestilenz.
Der Erzpräses der ök(o)umenischen Kirche Rheinruhr, Martin(a) Paulus-König, rief zu Ruhe und Besonnenheit auf. "Wir müssen uns verändern, um den Anderen aus seiner Andersartigkeit zu befreien", erklärte er während einer Pressekonferenz in der Imam-Salvator-Kirschee. "Toleranz ist gerade auch und besonders wichtig da, wo es um kritisches Hinterfragen und, besonders wichtig, Verändern von eigenen Dogmen, Vorstellungen und Verhaltensweisen geht. Grenzen zu setzen grenzt immer auch irgendwie ein oder aus."
Erste Maßnahmen der zuständigen Behörde zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung, zur Verhinderung des Lasters und zur Aufrechterhaltung der Tugend beinhalten: Kennzeichnung von Stätten, Personen und Transportmitteln des Umgangs mit Sus scrofa domestica, ins besonders Produkten, Derivaten, Atomen und Molekülen solchselbiger in Verbindung mit Zucht, Mast, Schlachtung und Inverkehrverbringung sämtlicher Produkte, Derivate, Atome und Moleküle oben genannter mittels geeigneter Verfahren. Speziell ist das dem Verzehr der Produkte dienende sogenannte "Grillen" und "Braten" der im Bundesgesetzblatt 13/22-A-15 näher bezeichneten Bestandteile dienende Verfahren des geruch- und rauchlosen Herstellens verzehrfähiger Bestandteile von Haus- und wildschweinen vermittels des patentierten Rauch- und geruchlosen Verfahrens zur hitzebezogenen Zubereitung schweinischer Produkte in geschlossenen Schutzräumen anzuwenden, besonders unter Berücksichtigung einer energieschonenden Vorgehensweise.
Die amtierende Vilayetkanzlerin Ayshe Brandkohl gab in einem Kurztwitterview mit dieser tweetschrift ihrer Hoffnung Ausdruck, dass nun "aller Zwietracht ein Ende bereitet sein möge und Diskriminierung, Vorurteile und das Streben nach Ungerechtigkeit und Bevormundung ihren Platz in der zuständigen Mülltonne der Geschichtsschreibung finden werden."
Ein weiteres Übergreifen der Auseinandersetzungen wird behördlicherseits nicht befürchtet."

Auch dass ich eine gefundene Kippe aufgeschmaucht habe, findet sich negativ in meiner Verhaltensbewertung wieder. Nehme mir vor, auf einen Raucherhelm zu sparen.
Keine Antwort auf meinen tweet von gestern, die Antidiskriminierungsabteilung pennt wohl. Den ganzen Tag unterwegs gewesen, um Schallplatten einzusammeln im "Vinyl gab ich für Öl" Programm, wenige haben wohl noch Scheiben von James Brown, der in meinen Zuständigkeitsbereich fällt. Kaum kehre ich heim ins Amt, eine magere Ausbeute an Scheiben unterm Arm, die Energieversorgung der Bevölkerung zu sichern, schon schallt es über die Flure: Git on up, stay on the scene, like a Speckmachine. Werde mir das nicht länger gefallen lassen und eine Versetzung ins Royblackressort verlangen.
Heute wieder sie gesehen, der mein Herz entgegenschlägt, da fiel mir alles aufs Förderband, Scheinfette, kunstloses Brot, Käsebytes, sie macht mich fertig. Werde mich an die Multikultbehörde wenden, um Moderator(in) zu finden. Habe gesamtes Herzblut vergossen.

Hattice, ach Hattice,
wenn ich in deine Augen seh,
dann bebt mein Herz vor Qual,
Welt wird mir egal.

Suleyman, ach Suleyman,
lass mich an deine Tochter ran.
Bitte sag nicht nein,
sonst weisen sie mich ein.

Prinzessin von mein Herz, ey
Herrin von mein Schmerz, ey.
Bruder sagt mir: laß es besser,
schwör isch hol mein Dönermesser.

Hattice, ach Hattice,
ich vor Sehnsucht bald vergeh.
An dir geht noch mein Herz entzwei,
du sitzt bei Aldi an Kasse drei.


Zweisprachige Version

Hattice, ach Hattice,
wenn ich in deine gözler seh,
dann bebt mein Herz vor Qual,
dünya mir egal.

Suleyman, ach Suleyman,
lass mich an deine Tochter ran.
Lütfen sag nicht nein,
sonst weisen sie mich ein.

Sultana von mein Herz, ey
Herrin benim Schmerz, ey.
Bruder sagt mir: laß es besser,
schwör isch hol mein Dönermesser.

Hattice, ach Hattice,
ich vor özlem bald vergeh.
An dir geht noch kalbim entzwei,
du sitzt Aldi Kasa drei.

Wie soll ich mich ihr nähern, wie soll ich sie und unsere Kinder ernähren? Sicher werde ich mehr Platten von Roy Black ernten, denn: Du bist nicht allein, wenn du träumst von der Liebe.

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