Donnerstag, März 27, 2008

Erlebte Töne




Mein Vater, der bekannte Musikanthropologe Antonius Nabatäus von Hardstängel (dessen Werk "Muziek voor doofe" wohl jedem Freund der tönenden Kunst präsent sein dürfte), brachte uns, seinen sieben Kindern, schon in zartestem Alter die heilende Kraft und die Macht der Klänge berückend nahe.
Waren wir krank, wurden wir mit ausgewählten, arzneilich wirkenden Symphonien aus der Pflanzenwelt beschallt, bis wir gesundeten oder dahinschieden. Ich erinnere mich an die Behandlung eines meiner jüngeren Brüder, der wegen einer Lungenentzündung mit der "Ode an ein Lungenkräutlein" betönt wurde. Leider überstand er die Prozedur nicht. Noch heute trifft sich der Rest der Familie an seinem Todestag auf dem Bach'schen Friedhof zu Leipzsch, wo er damals, zu den Klängen von "funebre finale für fidele fidelisten" in die Choralkatakombe gesenkt worden war. Noch heute nehme ich, bei Kopfschmerzen, gerne ein "Ave, Aspirin" zu mir. Die Beschwerden klingen zwar nicht ab, nehmen aber auch nicht zu.
Auch die aktive Erzeugung schwingender Töne war unserem Vater ein Herzensanliegen. Sonntags (das heißt täglich, da dem Musiker jeder Tag ein Feiertag ist), dirigierte er unser Familienorchester mit der Klangpeitsche. Besonders beliebt bei der Nachbarschaft war die von ihm komponierte, nur schwer im Ensemble zu spielende, "Etüde für ein Albtraumhorn, Arschposaune, Backenschellen und tibetische Totenkopftrommeln". In den den Aufführungen folgenden Nächten war zuverlässig ringsum das Angstgeschrei der Albdruckgeplagten Anwohner zu vernehmen.
Schließlich gründeten diese Spießer eine Bürgerinitiative und erzwangen die Auswanderung unserer Familie in die äußere Walachei. Dort ernährten wir uns von selbst gesammelten wilden Tönen und klarem Klangwasser. Vater gründete das Sanatorium für sonargeplagte, dessen Leiter ich seit seinem laut- wie leidvollen Verscheiden bin. Er trat ab während der Uraufführung seines Opus' "Fugissima furiosa für subdominante Schalmeien", eines Werks, das heute noch genügend Tantiemen abwirft für meinen anspruchslosen Lebensunterhalt.
Zur Zeit arbeite ich seine nachgelassenen Notationen auf, ein Lebenswerk. Alles, was er je verfasst hat, schrieb er in Notenform auf, Einkaufszettel, Eingaben bei Behörden, Denkschriften. Besonders seinen Entwurf eines Theorems debiler Dissonanzen halte ich für veröffentlichungswert. Dieses Werk wird die Musikwelt vom Notenkopf auf die Tonfüße stellen.
Letztendlich bin ich meinem Vater dankbar dafür, uns dieser denkbar harten Schule ausgesetzt zu haben. Musik ist ein Geschenk des Himmels.

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