Sonntag, März 30, 2008

JAHwe



Gutes Geschäft verrichtet. An den Mauern von Babylon
hast du Trompeten geblasen in die Bäume, in Rosen
von Jericho gebissen. Zerrissen hast du das Zaumzeug
der bleichen Reiter. Und auf der Leiter von Jakob
stiegst du hinauf zu den Höhen der Stadt, zur
Schädelstätte, um mit den Knochen zu spielen.

Gebrochen der Fels, verschwunden das Lot, das Boot sinkt
in salzige Tiefen. Es fragen die vielen, die vor der Zeit blieben,
um ihren versprochenen Lohn. Doch denen zum Hohn
erhöhst du die Mauern zum klagen und kauern.
Du sendest kein Wort mehr, verschwindest im Sandmeer,
denn uns ist geblieben ein trauriger Sohn.

Donnerstag, März 27, 2008

Zugehörig



Die Bücher im Schrank, das Bild an der Wand
und die Gläser in der Vitrine. Und im Carport der Wagen
und der Braten im Magen und auch die Violine.
Jedes Haar auf dem Kopf und am Duschhahn der Tropf
und die Stufen zum ersten Stock. Jedes Hemd, jeder Rock,
auch zum Sägen der Bock. Jedes Paar alter Schuhe
und der Inhalt der Truhe, (die hat mir die Oma vererbt).
Und das Sofa, gegerbt, ist mit Pflanzen gefärbt,
und die Jacken am Halter aus Leder.
Ich und du sowieso und im Garten die Kuh,
jeder Vorhang am Fenster, davor die Gespenster,
wir sind hier als Pfand und gehören der Bank.

(T)eppich



Ein entziegeltes Dach,
die Scheiben eingerannt.
Wo es gebrannt hat
vor vielen Jahren
waren vor kurzem Graffitti
aus Ranken und Fugen.
Es lugen aus Ritzen
noch trockene Blätter,
Boten der Zukunft
aus ödem Boden.
Es bringt ihre Kraft
die Fakten der nackten
Steine ins Wanken.

An die Untreue



Was der Motte ist die Flamme,
ist der Dolch in mir, dem Lamme.
Kam denn in den langen Zeiten
Schlechtes nur von deinen Seiten?

Ach, wie es mein Herz zerreißt,
möcht ich nur, dass du es weißt:
scheint für dich der Liebe Sonne,
widmest du dich voller Wonne
fremder Kerls Begehrlichkeiten,
kommen auch für dich die Zeiten,
da du faltig wirst und fett.

Leider ist die Zeit nicht nett
zu den schönen und dir frommen
nicht die Jahre, die noch kommen.

Hast du uns derart verraten,
sollst du in den Flammen braten.

Gewinnverlustwarnung



Investieren sie jetzt nicht in Geld.
Die Finger von Rentenpapieren!
Ein Kurs, der voll Hoffnung höher schnellt,
ist morgen hoffnungslos eingestellt.
Sie wachsen oder krepieren.

An den Zinseszinsesklippen
ist schon so mancher zerschellt.
Erst ging ihm ein lockeres "buy" von den Lippen,
er bettelt vor dem Bahnhof um Schrippen.
Der Alfa ist nicht mehr bestellt.

Doch wer die Nerven behält in der Welt,
der liest sich aus Diagrammen,
was bald verendet und was sich erhält.
Es sucht nach dem Platz, der ihm gefällt,
das Geld. Und hält sich zusammen.

fürwider



betrunken am regen
verkehr in der luft
getragen in eine würde
voll zeitenlos gleiten
der funkenden gleißen
des drucklosen halts
topp das wettet sich
er aus dem rollen
den fallen zu lassen
des nichts im schritt
gehalten von fern
gesehen im nicht

Zurück



Nach kurzer Zeit hatte er gemerkt, dass eine Gegenwehr zwecklos war, ließ die Schläge auf sich niederprasseln und versuchte nur noch, Gesicht und Unterleib zu schützen.
Die beiden hatten vor der Disco gestanden, anscheinend nicht erwünscht. Ziemlich berauscht, war er an ihnen vorbeigegangen auf dem Weg zum Parkplatz. Klar, eigentlich sollte er nicht mehr fahren, noch nicht einmal sich hinters Steuer setzen. Er hätte sofort das erste Taxi nehmen sollen, aber im Wagen lag noch eine Flasche Chianti. Nach dieser erfolglosen Nacht sollte sie seine Trösterin sein. Er war mit seinen Freunden herumgzogen, erst hatten sie lecker gegessen und zu viel getrunken, dann waren sie hier gelandet, in einer ziemlich üblen Kaschemme auf dem Hügel vor der Stadt. Seine Versuche, zu später Stunde noch eine Begleiterin zu finden, waren an den Folgen von zu viel Wein gescheitert. Die einzige Frau, die bereit gewesen war, auf seine Werbeversuche einzugehen (Magda? Maria? Lena?) hatte sich gegen drei Uhr mit ihren Freundinnen aufgemacht. Um fünf war ihm dann auch klar, dass nichts mehr laufen würde, so hatte er sich von seinen Kumpeln verabschiedet, mit Umarmung und Wangenküsschen.
Und dann waren die zwei über ihn hergefallen, wortlos, wütend, sie schlugen und traten ihn, obwohl er schon auf dem Boden lag. Die zwölf Stufen zum Parkplatz war er noch hinaufgetaumelt, unter ihren Hieben. Es fühlte sich an, als würden sie etwas aus Holz benutzen, vielleicht aus einem Gartenzaun herausgebrochen. Oben angekommen, erbrach er sich, ein saurer Geruch mischte sich mit dem Geschmack von Blut auf seiner Zunge.
Schließlich liessen sie von ihm ab, schwer atmend. Sie waren wohl erschöpft, nahmen ihm noch alles von Wert ab und beschwerten sich über den Gestank, den er verströmte. Sie warfen ihm das mit Stacheldraht versehene, kreuzförmige Gebilde, mit dem sie ihn geschlagen hatten, an den Kopf.
"Schlaf gut, du langhaariges Arschgesicht", hatten sie ihm zugerufen, als sie sich in die Morgendämmerung aufmachten.
Nun lag er hier, innerlich und äußerlich zerbrochen und musste komischerweise an seinen Vater denken. Obwohl seine Situation keineswegs lustig war, war ihm fröhlich und warm zumute. Er dachte voller Zärtlichkeit an ein Wiedersehen. Er stöhnte laut und fiel in eine befreiende Ohnmacht. Er träumte einen äußerst lebhaften Traum, von einer langen Fahrt und einer glücklichen Rückkehr.
Er stand auf und ging heim.

Erlebte Töne




Mein Vater, der bekannte Musikanthropologe Antonius Nabatäus von Hardstängel (dessen Werk "Muziek voor doofe" wohl jedem Freund der tönenden Kunst präsent sein dürfte), brachte uns, seinen sieben Kindern, schon in zartestem Alter die heilende Kraft und die Macht der Klänge berückend nahe.
Waren wir krank, wurden wir mit ausgewählten, arzneilich wirkenden Symphonien aus der Pflanzenwelt beschallt, bis wir gesundeten oder dahinschieden. Ich erinnere mich an die Behandlung eines meiner jüngeren Brüder, der wegen einer Lungenentzündung mit der "Ode an ein Lungenkräutlein" betönt wurde. Leider überstand er die Prozedur nicht. Noch heute trifft sich der Rest der Familie an seinem Todestag auf dem Bach'schen Friedhof zu Leipzsch, wo er damals, zu den Klängen von "funebre finale für fidele fidelisten" in die Choralkatakombe gesenkt worden war. Noch heute nehme ich, bei Kopfschmerzen, gerne ein "Ave, Aspirin" zu mir. Die Beschwerden klingen zwar nicht ab, nehmen aber auch nicht zu.
Auch die aktive Erzeugung schwingender Töne war unserem Vater ein Herzensanliegen. Sonntags (das heißt täglich, da dem Musiker jeder Tag ein Feiertag ist), dirigierte er unser Familienorchester mit der Klangpeitsche. Besonders beliebt bei der Nachbarschaft war die von ihm komponierte, nur schwer im Ensemble zu spielende, "Etüde für ein Albtraumhorn, Arschposaune, Backenschellen und tibetische Totenkopftrommeln". In den den Aufführungen folgenden Nächten war zuverlässig ringsum das Angstgeschrei der Albdruckgeplagten Anwohner zu vernehmen.
Schließlich gründeten diese Spießer eine Bürgerinitiative und erzwangen die Auswanderung unserer Familie in die äußere Walachei. Dort ernährten wir uns von selbst gesammelten wilden Tönen und klarem Klangwasser. Vater gründete das Sanatorium für sonargeplagte, dessen Leiter ich seit seinem laut- wie leidvollen Verscheiden bin. Er trat ab während der Uraufführung seines Opus' "Fugissima furiosa für subdominante Schalmeien", eines Werks, das heute noch genügend Tantiemen abwirft für meinen anspruchslosen Lebensunterhalt.
Zur Zeit arbeite ich seine nachgelassenen Notationen auf, ein Lebenswerk. Alles, was er je verfasst hat, schrieb er in Notenform auf, Einkaufszettel, Eingaben bei Behörden, Denkschriften. Besonders seinen Entwurf eines Theorems debiler Dissonanzen halte ich für veröffentlichungswert. Dieses Werk wird die Musikwelt vom Notenkopf auf die Tonfüße stellen.
Letztendlich bin ich meinem Vater dankbar dafür, uns dieser denkbar harten Schule ausgesetzt zu haben. Musik ist ein Geschenk des Himmels.

verwertlos



ende der worte in trümmern
der stücke zum gebrauch
bar ist die form eines inhalts
schwer scheint ein licht
schein auf ein feld
er pflügte um sich sie
gen höherer bilder
sturm schwang sich auf
bruch im gespür
worte enden in trümmern

Freitag, März 21, 2008

Zahltag




Ich wähle, wenn ich keine Wahl hab, diese.
Mir ist egal, wer immer hier regiert.
Ob grimmer Zwerg, ob netter Riese.
Vom Berg herab wird allemal amtiert.

Ich trage keinem auf, mein Kreuz zu tragen.
Die Fragen, die ich hab, sind nur für mich.
Und meine Stimme kann ich dir nicht leihen,
ich brauche sie zum Schreien noch. Nicht dich,

der weiss, was mir im Leben fehlt, so dass
mal eben deine Handlung unabdingbar wird.
Ich spiel nicht mit, du hast im Ärmel noch ein As.
Ich bin nicht deine Herde und du bist nicht mein Hirt.

Donnerstag, März 20, 2008

Der Hofnarr



Ein bisschen Spaß muß schließlich sein.
Wenn einer stolpert, kann man doch mal lachen.
Ist das jetzt lustig oder gemein?

Hanswurstgesichter ziehen kann er fein,
beömmelt sich, wenn andre Fehler machen.
Ein kleiner Spaß muß schließlich sein.

Er freut sich in Stücke, fällt man drauf rein,
dass seine Gags auf Kosten gehn der Schwachen.
Ist das nun lustig oder gemein?

Er stellt dem Publikum sein Bein,
lässt pausenlos Gedankenpüpse krachen.
Denn etwas Spaß muß schließlich sein.

Was neu scheint, ist es nur zum Schein,
die alten abgefuckten Sachen.
Ist das wohl lustig oder gemein?

Wir wollen nach dem nächsten Kasper schrein,
es finden sich genug davon im Flachen.
Ein bisschen Spaß muß schließlich sein.
Ist das jetzt lustig oder gemein?

Mittwoch, März 19, 2008

Frühjahrsmüde



Ich schaffe es nicht mehr, den Hintern hochzukriegen.
Seit Tagen bleibt im Haushalt alles und ich im Bette liegen.
Ich grabe grübelnd meine Seele um und finde melancholisch
Gefallen am Verfallen in ein Tief. Obwohl am Baum sich doch
so vielversprechend Weidenkätzchen in die Sonne neigen,
verschlafe ich die Tage, verkrieche mich in diesem dunklen Loch.
Zu träge selbst, um irgendwas zu essen. Ach, diabolisch ist
dies dösig-trübe Dümpeln in den Kissen. Und mein Gewissen
hat geschlossen. Beschlossen ist die Sache: mich besiegen
keine noch so lenzenslauen Lüfte, keine Hyazinthendüfte.

Wenn draußen Osterglocken klingen, junge Lämmer fröhlich springen,
dann werd ich viel zu schläfrig sein, um dies Gedicht zu End zu bring....

Revolution Nr. 1



Heute hat es in der Sahara geschneit.
Ein Wissensdunst ist aus Gullys gestiegen,
der alles alte hinfällig machte,
der allen Menschen die Wahrheit brachte,
Und zwar die eine, die sie befreit.

Im Dom zu Rom hat Peter gelacht.
Es klang nicht eine Klage an der Mauer.
Der schwarze Stein ist zu Staub zerfallen.
Das Fernsehprogramm gefiel heute allen.
Die Wirtschaft hat subventionsfrei gedacht.

Die Warheit macht froh, das ist nun bewiesen,
begießen wir frisch den Sieg der Vernunft.
Die Herkunft des Wissens ist nicht so wichtig,
wichtig ist nur, wir wissen jetzt richtig.
Und wenn einer zweifelt, zerdenken wir diesen.

Montag, März 17, 2008

Erschlafen



Morgenvögel flöten sonnenroten Aufgang.
Kitzelhäutig, streichelfühlig,
liderlockend hebst du Brauen,
grauen Welten dämmerspürig,
Frühgesänge färben Augenlächeln.
Sonnenvögel flöten morgenroten Aufgang.

Kleine Beziehung



Ich suchte nach Schutz im Schatten vor der Mittagshitze.
Du kamst mir nah und flüstertest ganz sacht:"Mein Schatz" zu mir.
Und hobst mein Bauchfreihemdchen zärtlich über meinen Kopf.
Befingertest mein Arschgeweih. "Ich werd so weich an dir",
sprach ich und wuschelte erregt dir den gegelten Schopf.

So trieben wir in Raserei, lustvoll das Geschwitze,
explodierten aneinander, voll der wilden Wonne.
Ich stöhnte und du schwurest mir, in deiner süßen Qual:
"Ich bleibe bei dir bis zum Schluss, Superstar Yvonne".
Jetzt karr ich Chantal durch den Park. Die Tochter von Pascal.

Donnerstag, März 13, 2008

Frontale Augenstellung



Eine Sicht auf den kleinen Bereich,
wenn das Feld sich vom Rand
zur Mitte erhellt. Anders gesehen
geschehen zeitgleich Mirakel.
Aus dem Debakel führt ein Weg
geradeaus, ein Strahl, blick hinein,
ein Steg führt hinaus. Aus der Schwärze
ein Licht, das gleich wieder bricht.
Fast blind musst du gehen.
Fahl leuchtet das Ziel, Verlangen.
Erlangen kannst du es nicht,
nur nähern dich, so, wie, gleich.

Partei der Schäume




Gewiss, schlecht fand man nicht immer alles
an Onkel Erichs warmer Kuscheldiktatur.
Gestellt war die Uhr der Weltgeschichte,
bloß stand der kleine Zeiger nicht zu recht.

Gerecht war der Weg und edel das Ziel,
ein Weltniveau an Schäbigkeit zum Greifen nah.
Da war man platziert und organisiert,
zu lesen gab's viel von Karl-Friedrich Brecht.

Im Geflecht der Republik war es nett,
erstaunlich, dass keiner es brüderlich wollte.
Sollte der Lauf sich aufhalten lassen?
Fett war der Kohl und die Menschen warn echt.

Ihr Schwestern und Brüder, habt Vertrauen,
wird der Plan nominiert, gibt's gleiches für jeden.
Reden sind gratis vom Garten Eden,
Mauern zu bauen Träume von gestern.

Bekanntgabe



Im Rahmen einer Traumbegradigung werden neue Fronten aufgezogen.
Beim Aufstieg in das Jammertal sind stets Gedankenketten zu ertragen.
Grundsätzlich ist ein gründliches Verwehen des Grundsteins vorzusehen.
Die Luft wird zerschlagen, mit blinden Fenstern versehen und neu aufgebogen.
In zentral beschickten Grundideenlagern vorgehaltene Fragen
werden zu genommenen Zeiten in Reihen vor die Wände bewegt.
Bei gerissenen Linien im Fühlungsgebiet sind die Seiten zu wechseln.
Auf Antrag werden nötige Leiden zum Vermeiden von Freude gewährt.
Das Beschreiten gezogener Leinen wird mit Verordnungen belegt.
Gefriergespüre sind nach einer Verwendung vor der Entsorgung zu häckseln.

Ein Leben



Endlich zehn Uhr, Zeit, den Schweiß vom Gesicht zu wischen, den zweiten Kaffee zu nehmen und ein Brot zu essen. Jeden Morgen bin ich gespannt, mit welcher Belagsvariante ich mich heute überrasche. Gestern waren es Erdbeeren mit Leberwurst, heute vielleicht saure Gurke auf Marmelade. An manchen Tagen bin ich mit meiner Auswahl überhaupt nicht einverstanden, dann schimpfe ich mit mir, führe innere Streitgespräche und sieze mich bis zum Abendessen.
Üblicherweise jedoch komme ich gut mit mir zurecht, stehe fröhlich auf und begegne meinem Spiegelbild freundlich und zuvorkommend: "Du, Paul, hast es doch ganz gut getroffen", sage ich zu mir, "die Arbeit an der Gedankensortiermaschine geht dir leicht von der Hand, das Tempo ist nicht zu hoch, die Kollegen sind nett und es gibt ausreichend Pausen. Wenn du dich bewährst, kommst du in ein paar Jahren in die Ideenabfüllung. Da schiebt sich ein froher Lenz".
An anderen Tagen jedoch, wenn ich keine Zeit hatte, mich zu suchen, finde ich ein anderes "Sie", das flucht und schimpft mit mir: "Sie sind eine leere Tüte, zu faul, um Brot zu verschimmeln. Mit ihnen zu leben ist zum Haareausfallen". Dann verrichte ich schweigend meine Arbeit und setze mich nach Feierabend auf meine Lieblingsbank im Park, egal, welches Wetter vorherrscht. Hier kommen immer viele Menschen vorbei, eilige, solche mit viel Zeit, Einsame und verliebte. Aber ihre Gesichter und Geschichten interessieren mich nicht, ich beobachte und katalogisiere ihre Schnürsenkel. Meine Statistiken trage ich in ein kleines Notizbuch ein.
20.10.2006, 17:30 bis 18:00. Fünf Grad, bewölkt. Dreizehn Paar weißer, ein Paar rotgrüngelber und siebenundzwanzig Paar schwarzer Schnürsenkel, zu vierundachtzig Prozent ordentlich gebunden, 15 Prozent schlampig, ein Prozent offen. Keine Sandalen.
Ich hasse den Sommer, ich mag keine Sandalen. In den fünfzehn voll geschriebenen Kladden, die bei mir im Wohnzimmerschrank stehen, klaffen oft grosse Lücken in den Sommermonaten. Ich liebe nun mal Schnürsenkel. Manche sind witzig, sie erzählen Geschichten von ungelenken Händen in früher Morgenstunde, der Unfähigkeit, gleichzeitig zu schnüren und Kaffee zu trinken. Andere sind militärisch akkurat ausgerichtet, wieder andere scheinen eine gewisse Protesthaltung ihrer Träger wiederzuspiegeln, die Überkreuzungen sind schief, zu kurz oder zu lang gesenkelt, Knoten und Schleifen zu lose.
An den Tagen, an denen die Sandalen überhand nehmen, widme ich mich meinem anderen Hobby, der Züchtung von Superameisen. Direkt unter meiner Bank hat sich ein Stamm roter Waldameisen angesiedelt, die ich mit einer Mixtur aus Kastanienmarmelade, Rohrzucker und Anabolika füttere, seit nunmehr fünf Jahren. Von Zeit zu Zeit nehme ich eine Ameise mit nach Hause, vermesse und wiege sie. Im Lauf der Jahre sind sie um durchschnittlich fünf Prozent gewachsen und haben etwa zehn Prozent an Gewicht zugenommen. Ich muss meinem kleinen Volk inzwischen nicht mehr bei den Kämpfen mit anderen Stämmen helfen wie noch anfangs, als ich die Eingänge der "anderen" mit Brennpaste verstopft und diese angezündet habe. Es war jedes mal ein nahezu klassisches Drama, die tapferen Ameisen versuchten, das Feuer zu entfernen und vergingen in der Glut.
Jetzt aber haben meine kleinen Schützlinge ihr Territorium bis zu den nächsten Bänken erweitert und ich bin sicher, dass sie bald den ganzen Park übernehmen werden. Wenn ich genau hinsehe, kann ich einzelne Individuen unterscheiden, manchmal schaffe ich es sogar, in den Boden hineinzusehen, durch die einzelnen Körner das unglaubliche Bodenleben wahrzunehmen, ein unendliches Gewimmel von Würmern, Käfern und zahllosen Insekten. Dann stelle ich meine Augen noch schärfer, bis ich die atomare Struktur der Substanzen durchdringe und in einen subatomaren Bereich aus farbigen Nebeln vordringe. Danach habe ich regelmäßig Kopfschmerzen.
Manchmal fragen Kinder ihre Mütter, was der Mann auf der Bank denn wohl mache, er schaue so komisch auf den Boden. Dann sehe ich die Kinder an, lächle und versuche, ihnen mein kleines Geheimnis ohne Worte mitzuteilen. Ich weiß, dass sie verstehen.

Abverkauf



Ich lager meine Werte
bei AldiLidlPlus,
warte meine Zukunft
im Kühlregal liegt auf Abruf:
Meine Ehre, geleaste Räder,
auf Vorrat Treue mit Marketingproblem.
Profil mit Urlaubsanspruchmenschenrecht.

Bin allergisch gegen Steuern und Gebühren,
sozialverträglich abgepuffert
mit frisch besohlter Seele.
Rundumprofiterneuert in dem
Sonderangeboteüberlebensland
werf ich meine leere Tüte
in den Wind.

Auf der Suche



Vorsichtig taste ich mich an der rauen Wand entlang, die Fingerkuppen aufgerissen und taub von der herabrieselnden Feuchtigkeit. Der Boden ist rutschig, tückisch, loses Geröll erschwert das Gehen. Hoch oben schimmert schwaches Licht, gerade genug, eine Ahnung der Umgebung aufscheinen zu lassen. "Ich werde es finden", spreche ich halblaut, mein Mantra für die Dunkelheit, "diesmal werde ich es finden". Ich habe schon viele Höhlen durchsucht, seit ich den Plan gefunden habe, jenes brüchige Pergament mit der verblassten Schrift, den kaum zu entziffernden, schnörkeligen Buchstaben. Die Zeichnung war eindeutig, die Botschaft klar:
"Das Ich, das sich suchet, das Ich, das sich findet, in diesem Zeichen untrennbar sich bindet".
Leider war der Eingang nicht beschrieben. So ist es auch passiert, dass ich in diese Höhle hineingefallen bin, plötzlich gab der Waldboden nach und ich schlitterte einen Abhang hinab, verlor dabei meine Ausrüstung, die über einen Grat in bodenlose Tiefe fiel. Jetzt mühe ich mich weiter, zum Glück habe ich die Karte auswendig gelernt, sie leuchtet vor meinem inneren Auge. Noch zehn Schritte, dann kommt eine Kreuzung. Links geht es in eine Kammer, gefüllt mit Diamanten und dem Gold der Inkas, rechts zweigt ein Gang zur Grotte des immerwährenden Glücks, aber ich muss geradeaus, immer weiter geradeaus, sacht führt der Boden hinab, längst gibt es keinen Lichtschein mehr, bis auf ein leichtes Glimmen an den Wänden. Es wird stärker, phosphoresziert, grünlich-gelbliches Leuchten lässt den Weg erkennen, von Menschenhand polierter Fels. Das Gehen wird leichter, selbst die Luft schmeckt frischer, mein Mut kehrt zurück. Ich werde es finden, das Zeichen, und dann wird es für immer mir gehören.
Vorbei an Gängen, die zu unnennbaren Schätzen führen, getrieben, gezogen von einer Ahnung, einem Hoffen, einem Wissen und schließlich betrete ich sie, die letzte, die höchste, die einzige Höhle und, wie auf dem Plan verzeichnet, sehe ich es. Im Mittelpunkt, auf den Boden gemalt, das Übermannsgrosse X. Hier ist die Stelle, hier ist mein Platz. Ich lege mich hin, die Arme und Beine auf die Linien gepresst und endlich, nach all der Suche, den Mühen und Irrtümern, endlich weiß ich, wo ich bin, wer ich bin, habe meinen Platz gefunden in dieser Welt. Ein ungekanntes Glücksgefühl durchströmt mich - ich werde diesen Ort nie mehr verlassen.

Abbruch



Nahe dem Gipfel, auf fußbreitem Pfad,
mit der Nase zur Wand und der Hand
am Gestein, im Rücken das Lassen,
das Straucheln, das Tauchen
hinein, hinab in das andere Sein.
Einen Fuß vor den anderen gesetzt,
ist der Fall zu vermeiden. Am Steg
leuchten Zeichen, sie weisen den Weg
ins Weichen, ins Stürzen, Verwehen.
Sich gehen zu lassen, kurz vor dem Ziel,
viel braucht es nicht, zu erreichen
ein Ende im Anfang für ein Spiel
bei dem Absicht und Zufall sich gleichen.

Im Salon



Ein hohes Zimmer, voll gestellt mit Möbeln,
mit feinem Zierrat aus Vergänglichkeiten.
Hier gibt es weder Eile noch Geschwätz,
es fehlt an lautem Ton. Hier heißt es schreiten.

In steif gestärkten Blusen sitzen Damen
zum Tee auf einem Kanapee beisammen.
Man meint, sie flüsterten. Die Herren sind
bei Wichtigkeiten angelangt. Und Flammen

im Kamin verglühen leise. Pianoklänge perlen
eine Weise. Es senkt sich Wehmut schwer
auf die Gemüter. Ein Glöckchen ruft.
Zum Abendessen gibt's ein Gläschen mehr.

Erich



Samstag abend und nur noch vier Stunden Zeit, das wöchentliche Laufsoll zu erfüllen. Zwanzig Kilometer fehlten, also zog Erich seine Funktionswäsche an und stieg in den Sportboter. Lieber wäre er durch den Park gejoggt, doch war dieser für unverheiratete unter sechzig am Wochenende gesperrt. Er rief das Netz auf und suchte nach einer interessanten Sendung, während er innerlich mit sich haderte. Nie gelang es ihm, das zugestandene Unterhaltungskontingent gleichmäßig über die Woche zu verteilen, so dass ihm jetzt nur noch die Wahl blieb zwischen Weiterbildung, Verkaufsshows und der Dauerübertragung aus dem Europäischen Zentralparlament. Er entschied sich für einen Beitrag über die "Notwendigkeit der Erhöhung der Zusatzsteuer im Kampf gegen das Luftsterben" und begann zu laufen.
Er freute sich auf Mitternacht. Nach der Übertragung seiner Daten an das Amt für Wohlbefinden würde er sich einen Zug an seiner Zigarette genehmigen. Viel war nicht mehr dran, bald würde er sich eine neue besorgen müssen. Das wurde immer schwieriger, die Preise waren in letzter Zeit enorm gestiegen und es gab kaum noch Dealer. Die Kampagne "Gesunder Staat heißt gesunde Bürger" zeigte Wirkung, immer mehr Fitnessbeamte waren unterwegs. Letzte Woche hatte es seinen Kollegen Ralf aus dem Beschäftigungsheim erwischt. Während der Frühschicht, als sie gerade Kugelschreiber für den Export in die zentralasiatische Volksrepublik zusammenschraubten, wurde er abgeholt. Er hätte wohl besser nicht in der Kantine damit geprahlt, dass in seinem Keller noch eine ganze Flasche Bier versteckt war. Nun würde er im Sanitaslager einer Gedankenschulung mit ganzheitlicher Verhaltensneukonfiguration unterzogen werden. Wenn er Glück hatte.
Es gab Gerüchte, dass Vergehen gegen die Missbilligung des Besitzes und der Anwendung von befindlichkeitsmodifizierenden Substanzen mit mehrjährigen Schanzarbeiten an den Außengrenzen der EUGEM (Europäischen Gemeinschaft) geahndet würden. Eine Änderung der Übertragung der Gesundheitsrelevanten Daten von wöchentlich auf täglich war zumindest gewiss. Und das galt als außerordentlich lästig.
Er überlegte, wie er das letzte ihm verbliebene Schwarzgold in offlineeuronen umrubeln könnte, ohne Verdacht zu erregen. Sein Opa hatte ihm einige Kleinmünzen vermacht, unter der Hand natürlich, da der Besitz von Edelmetallen schon lange verboten war. Sein letzter Tscherwonez von 8,6 Gramm hatte immerhin den Wert von neun Millionen Eus, genug, um eine Stange von aus Afghanistan eingeschmuggelter Zigaretten oder zwei Litern isländischen Weines zu erstehen. Seit der Zwangsimplantation von der wirtschaftlichen Gerechtigkeit dienenden RFID-chips, eines jeder wirtschaftlichen Handlung zugrunde liegenden Kontrollsystems, gab es kein frei verfügbares Geld mehr, alle Transaktionen erfolgten online und für jeden einsehbar.
Die Europäische Zentralbank zur Wertbestimmung (EZBWB) legte monatlich die Inflationsrate fest und passte die Entschädigung der Werker an; trotzdem kam es immer wieder zu Äußerungen von Unmut, da die Preise anscheinend schneller stiegen als die Angleichungen.Die mit einem chip versehenen onlineeuronen waren inzwischen fast wertlos.
Gleich morgen würde Erich den Park besuchen, dachte er sich. Vielleicht könnte er einen der letzten Chiplosen finden, seine Münze gegen richtiges Geld tauschen. Geld, dem in einer komplizierten Operation der RFID-chip entfernt worden war und das dadurch echten Wert erhalten hatte.
Und dann würde er sich eine ganze Flasche Bier kaufen.

1:1



Nun fangen die Finger zu zittern an,
ab hier wird es komplizierter.
Noch einmal Luft geholt und dann
das Oberteil platziert. Er stöhnt,

er keucht, er ächzt und schnauft.
Was hat er sich denn bloß gedacht?
Gibt es den Kunden, der es kauft,
der sieht, was dies für Mühe macht?

Getreues Abbild einer Welt und
nicht nur das, es atmet und es lebt.
Nur aufgepasst, dass nichts herunterfällt,
der Horizont ist noch nicht festgeklebt.

Mein neues Poesiealbum

Sonntag, März 09, 2008

Ein Griff in die Grottenkiste


Gewidmet

Verschwendet die Zeit für den, der dies liest.
Was aussieht wie Lyrik, ist schlichtweg belämmert.
Tief aus der Grotte geholter Mist,
in drei Minuten zusammengehämmert.

Hier reimt gleich das Herz auf - war nur Scherz.
Schiete, driete, hundserbärmlich dieses scheint.
Für die Blinden noch in Braille: auf den Sterz
zu fallen schmerzt, so dass man weint.

Jetzto wird es richtig Schrotto,
wie null richtige im Lotto.
Nun richt ich ihn hin, den Reim.
Oh, lass sein, hör ich ihn schrein.
Keine Gnad' gewährt, ihr Richter,
Poetinnen, hehren Dichter,
diesem Werk, das ich verbrochen -
es musste sein, es war versprochen.

Freitag, März 07, 2008

Unterhaltungsverdichtung



Was sicher ist: später kommt einer dran,
der vermag, verdünnte Wasser zu lassen,
er malt sich noch Augenbetäubender an,
ein Meisterwerker, der alles nicht kann,
besonders aus Nichts keine Worte zu fassen.

Man sucht den Spaß mit der Taschenlampe,
zu Tage gefordert in fühllosem Schein,
rutscht in den Brei, man strampelt in Pampe,
bejodelt von Resten auf der Rampe,
im Versuche, ganz blinde Ohren zu sein.

Es schwelen freundliche Feuer dahinnen,
allmählich schalten sich zu aus den Aschen,
Geistlosgewordene Harlekinnen,
die strampeln und hampeln los von Sinnen,
und stopfen sich Löcher in die Taschen.

Man staunt sich zu Klötzen und fasst sich nicht.
Kurz aber harmvoll und überheiter,
die siebte Folge: "Verkenn mein Gesicht",
matt schimmert auf Scheibe: "Breit, aber dicht".
Nach unten sprosst endlos weiter die Leiter.

sermon



ver tiefen klären in senken
sich denkende auf lösung von
hört hier wer noch wen
ver wehend gehen die letzten
sprechenden aus druck
kommenden wege vor
bilder im geist
los gelöst

Nebelrisse



Du wirfst um dich mit tiefen Schattenrissen,
so dass man sich dein Licht nicht recht betrachten kann.
In Nebelkälte ausgehauchte Sätze sind auf Dauer
Verstärker für die Trauerränder deiner Augenboten.

Ein Bild, von dir gemalt, führst du im Mund spazieren,
mit Händen schlägst du fest die Höhlenluft.
Man richtet Ohren auf und scheint nur knapp daneben.
Zu lieben heißt, nicht viel von dir zu wissen.