Mittwoch, April 04, 2012

Darüber ist Herr Grass sich selber nicht gewachsen








Günter hat Meinung wie andere Fieber,
mit letzter Feder spritzt er Tinte zum Poem.
Es nagt in seinem Innersten, wie am Baume der Biber,
die Wahrheit und die ist niemandem bequem.

Oh Zion, hör auf Günter und höre auf zu existieren,
weil er nur dann in Ruhe trauern will und kann.
Ja, muss denn erst was schreckliches passieren?
Seht, wie er leidet. Der arme Mann

kennt sich mit Blut und Boden aus,
er hat schon mal daran gerochen.
Und frisch gestrichen strahlt das alte Lügenhaus
und fruchtbar ist der Runzelsack, aus dem sie krochen,

die ewigen Freunde. Wer solche hat,
der jage sich gleich selbst ins Meer.
Dann nimmt der Günter sich ein neues Blatt
und schreibt darauf noch mehr und mehr und mehr...

Brief an die Eltern 1








Liebe Mami, lieber Papi,
danke für euren Brief von letzter Woche. Die zehn Euro kann ich gut gebrauchen, ich werde mir davon ein halbes Brot kaufen. Jetzt erschreckt bitte nicht, aber ich habe das Studium abgebrochen. Die Aussicht, die nächsten fünfzig Jahre Deutsch als Fremdsprache für Deutsche zu unterrichten, hat mich doch zu sehr deprimiert, auch weil es kaum mehr ein Zielpublikum gibt. Dennoch sind die sechs Semester nicht in den Sand gesetzt, sie haben mich befähigt, den Aufnahmefragebogen zur Ausbildung als staatlich geprüfter Vollbefugter derart fehlerfrei auszufüllen, dass ich eine Lehrstelle bekommen habe. Gut, ich werde die nächsten Jahre wenig verdienen, aber ich habe einen Platz im gesicherten Wohnen erhalten, werde vollverpflegt (kein Vergleich mit deinem Essen natürlich, Mami) und darf fast unzensiert im Zwischennetz surfen. Die medizinische Versorgung ist ausgezeichnet, wir werden täglich untersucht. Ich darf sogar weiter e-Joints rauchen.
Die Kameradschaft ist ausgezeichnet, ich habe schon einen Freund, Kevin Öztürk. Ich verbessere sein Deutsch, er mein Türkisch und abends spielen wir e-Tennis oder gehen in die I-Bar auf einen e-shake (keine Sorge, Mami, natürlich -L). Wir sind bislang die besten im Kurs "Wertstoffermittlung und Rückführung in den Wirtschaftskreislauf", ein geniales Programm. Wir begleiten als Kaumbefugte die Vollbefugten Ermittler bei Hausbesuchen. Hierbei werden im Haushalt befindliche Edelmetalle festgestellt, bewertet und eingesammelt. Die Besitzer erhalten ein Zertifikat, behalten dürfen sie je einen Ehering und ein Stück persönlichen Schmucks. Die personalisierten Zertifikate sind unbegrenzt gültig, nicht beleihbar und nicht verkäuflich. In persönlichen Notsituationen können die Bürger Anträge auf Rückgabe stellen, aber da es keinen offiziellen Markt mehr gibt für Edelmetalle, wird diesen nie stattgegeben.
Dies dient dazu, ungerechte Anhäufungen von Werten zu verhindern. Der Staat beleiht die eingesammelten Stoffe und finanziert damit das neu aufgelegte Betreuungsprogramm. Eine Hälfte der Bevölkerung betreut die andere, ein mal im Jahr wird gewechselt. Ihr könnt euch vorstellen, dass dies immense Geldmittel erfordert, darum ermitteln wir auch Aktien, Bargeldbestände und sonstige Wertgegenstände und verbringen diese in zentrale Sammelstellen, auch dies gegen Aushändigung von Zertifikaten und Berechtigungsscheinen zum Bezug von Barmitteln. Die meisten Bürger sind kooperativ, aber ihr könnt euch nicht vorstellen, wie renitent einige Zeitgenossen sind. Wir rufen dann das Kommando zur speziellen Befragung aus dem Bus vor dem Haus, die haben bisher noch alles herausgefunden. Für mich wäre das nichts, die Kollegen sind etwas ungehobelt.
Wenn es demnächst bei euch schellt, wisst ihr also Bescheid. Ihr könnt stolz sein, an diesem Programm mitzuwirken und unser Gemeinwesen zu stärken. Ich habe herausfinden können, dass eure Straße nächste Woche an der Reihe ist.
In meiner Freizeit habe ich noch einen Job als Vertreter für Versicherungen gegen Demenz, äußerst einträglich. Die Prämien sind moderat, allerdings habe ich inoffiziell erfahren, dass noch kein Versicherungsnehmer die zugesagten Leistungen angefragt hat. Ein wenig merkwürdig finde ich das schon, aber alles ist legal und wenn ich weiter so gut verdiene, kann ich mir bald ein e-bike leisten und eine Lizenz zur Benutzung staatlicher Straßen. Dann komme ich euch sicher besuchen.
Bitte grüßt Omi auch ganz herzlich und sagt ihr, dass ich inzwischen 24 und ausgewachsen bin und von daher der Pullover, den sie mir gestrickt hat, ein wenig zu klein geraten ist. Ich habe ihn der staatlichen Kleidervergabestelle zukommen lassen. Und fragt sie bitte, ob sie sich nicht gegen Demenz versichern lassen möchte. Ihr vielleicht auch?

Ich küsse und drücke euch herzlich,
euer Sohn Heinz-Ali.

Eine Woche im Leben von...



Montags ist der Vollidiot für ein Industrieverbot.
Dienstags ist er gegen Jetten, Autofahren, Zigaretten.
Mittwochs hört man ihn skandieren: Böse ist das Konsumieren!
Donnerstags, spätabends noch, trillert er am Baggerloch.

Freitags sieht man ihn auf Bäumen wütend schäumen,
Samstags demonstriert er gegen das und dies. Das Paradies
findet Sonntagsmittags statt, wenn er Protestversammlung hat.

Es müsste ihm doch irgendwie gelingen, die anderen zu seinem Glück zu zwingen.