Dienstag, Mai 19, 2009

Wuttke 2



Es klingelte. Es klingelte wieder. Es klingelte Sturm. Er versuchte, das verdammte Drring-Drring wegzuträumen, tauschte es gedanklich gegen Big Ben. Nichts zu machen, jetzt hämmerte es auch noch gegen die Tür. "Wuttke, aufmachen, ich weiß sie sind da", eine Stimme wie ein Vorschlaghammer.
Die Augen auf einen festen Punkt richten, linke Hand ans Tischbein, mit der rechten die Tischkante erreichen, langsam hochziehen (warum landet man immer unter dem Tisch?), stehen lernen, gehen lernen. Langsamer Fortschritt Richtung Tür, hastiges Stolpern über was liegt denn da im Weg? Neue Übung, rechte Hand an rechtes Stuhlbein, linke auf die Sitzfläche und es klingelt und klopft immer noch.
Tausende Orks schlugen an seine Schädeldecke und grölten den Chor der sieben Zwerge: "Hi-hoo, Hi-Hoo". Irgendwas war in der Nacht in seinen Mund gekrochen, um dort zu verwesen und hatte, als Nebeneffekt, die gewohnten Raumdimensionen verschoben. Er schob sich an der Tür hoch und spähte durch den Spion. Draußen sah er Dantes Inferno, Kreaturen aus den Visionen von Bosch und Breughel. Gehörnte Dämonen, verzerrte Fratzen und vorneweg seine Vermieter, das Ehepaar Bluchnig-Voigt, dahinter die schäbigen Schrapnells aus der dritten und vierten Etage, bereit zum letzten Gefecht. "Ja wassn wassn"? rief er, "wassn los"? "Tür auf"! schrie es von draußen. Zum Teufel, dachte Mike, ich öffne doch nicht für Zenobiten, doch da brach die Hölle los. "Wissen sie eigentlich, was sie letzte Nacht getan haben? Nackt im Fenster gestanden und gebrüllt, wir sollten uns zur Arbeit scheren und das um halb sieben und dann noch leere Flaschen auf Autos werfen", grölte es auf dem Flur, "das ist zu viel. Wir kündigen ihren Mietvertrag".
"Ja, is gut, gerne später mehr", rief er und versuchte, Richtung Bett zu gelangen. Das Schellen verstummte, Getrappel, Gemurmel im Hausflur, wo war eigentlich Susanne? Langsam verzogen sich die Nebel, wenn auch noch lange nicht alle. Walter's Pommes-Paradies, ok, da hatte er sie liegengelassen. Und dann, ja klar, hatte er Erwin getroffen. Im Durst-Stübli und Erwin Kalusche, der geniale Erfinder, hatte einen ausgegeben, eine Flasche Campari, er feierte die Patentierung seiner neuesten Erfindung, der Kaluschnikoff. "Du musst dir das so vorstellen", hatte er erklärt, "ein auf eine hohe Stange montiertes Maschinengewehr, das im dreihundertsechzig-Grad-Winkel schießen kann. Man weiß ja heute nie, wo der Feind steht und friendly fire ist auch gleich drin". Später, viel später, waren sie im "Old Mummy" gelandet, dem einzigen Schuppen, der schon seit dreißig Jahren progressive Rockmusik spielt. Dort waren sie zu Pastis gewechselt und Mike hatte sein Leid geklagt, über Susanne, die nie zufrieden war. "Dabei hab ich sie einen Geschirrspüler gekauft und die Waschmaschine is auch fast neu aber zufrieden? Zufrieden is sie nie und immer am meckern und gestern hab ich extra für Geburtstag ein Gedicht geschrieben, hömma:
Ich mag an meiner Alten
das graue Haar, die Falten.
Und ihren kleinen Bauch,
den mag ich auch.
Und die nur am Meckern und dabei hab ich extra ein Kurs belegt, Selber schreiben in dreizehn Stunden, VHS".
Irgendwann musste er sich dann heimwärts begeben haben. Den Kratzern am rechten Ärmel seiner hellbraunen Lederjacke nach von links. Scheiße, sogar ein paar Fransen waren ab. Wieso hatte er eigentlich noch die Jacke an und sonst nichts?
Er machte sich vorsichtig auf den Weg Richtung Kochnische, öffnete den Kühlschrank und erstarrte.

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