Dienstag, Mai 19, 2009

Brief



Geliebte Tochter,
ich schreibe dir in der Hoffnung, dass dieser Brief dich auf Umwegen erreicht. Hier in Timbuktu ist die Post nicht besonders zuverlässig, aber ein Kamerad hat versprochen, die Nachricht beim nächsten Heimaturlaub einzuwerfen. Die Arbeit ist hart, unerträglich brennt die Sonne vom Himmel und wir müssen doch, ob wir können oder nicht, unsere Pflicht erfüllen. Lass dir nie erzählen, dass der Dienst beim Militär erträglich sei. Bitte, geh zur Schule und studiere. Frag Mama, ob ich euch irgendwie etwas zukommen lassen kann, mein Sold ist karg, aber ich kann hier nicht viel ausgeben.
Ich schreibe, um dir zu erklären, wie es zu allem gekommen ist. Bitte glaube nicht, was du in den Medien über mich liest oder hörst, davon stimmt kein Wort oder nur das wenigste. Wie du weißt, war ich Vertreter für Ankerketten (ein überaus erfolgreicher, übrigens) und bereiste in dieser Eigenschaft das Ruhrgebiet. Es fiel mir nicht leicht, so oft von euch getrennt zu sein, die Arbeit ging vor.
Jedenfalls war ich am Morgen des achten Juli 2006 frühmorgens unterwegs zur Hauptniederlassung der vereinigten Ankerwerke Kettwig, um das neue Modell "Sicherer Hafen" vorzustellen, ein verschleißfreies Gleitkettenprodukt. Auf der Mintarder Ruhrtalbrücke, Teilstück der Autobahn 52, löste sich eine Deutschlandfahne vom Fahnenhalter im rückwärtigen Seitenfenster des vor mir fahrenden Fahrzeugs und flatterte auf die Fahrbahn. Ich wollte sie aus Respekt vor unseren Nationalfarben nicht überfahren und trat hart auf die Bremse (wie du weißt, bremst ein Audi gut), brachte damit einen hinter mir sich befindlichen Gefahrgutlaster zum Schlingern, welcher das Brückengeländer durchbrach, auf ein mit Schwarzpulver beladenes Schiff fiel, das in Brand geriet, steuerlos auf Mülheim a.d. Ruhr zufuhr, dort explodierte und die halbe Stadt in Brand steckte.
Der Schaden ist unermesslich, aber, wie du siehst, ich konnte nichts dafür. Leider werde ich immer noch gesucht und jetzt habe ich keine Zeit mehr. Bitte schreibe mir zurück (der beiliegende Plan sagt dir, wie) und grüße Mama.
Bis (hoffentlich) bald,
Papa

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