Mittwoch, April 19, 2006

Mutter aller Muenzen


Die Mutter aller Mutantenmünzen

Seit 40 Tagen und 40 Nächten hielt ich mich nun schon in dieser Wüste auf, immer tiefer in ihr Inneres eindringend. Ich ernährte mich von dem, was ich fand, trank den Tau auf meiner Zunge. Anfangs hatte ich noch die Befürchtung, das zu ernähren, was mich fand, aber ich wusste, ich war auf höhere Anordnung hier, nichts konnte mir geschehen.
Es hatte lange gedauert, die wüsteste Wüste zu finden, weit ab von Trekkingtouren, Ölexplorationen, Survivalcamps und sonstigen Belästigungen, vor allem aber abseits jeglicher Geldströme. Ich wusste, nur da würde mein Ich sich wieder finden können, wo es sicher war vor den Ausdünstungen der Tauschsucht. Hart war der Abschied von Barschaft und Kreditkarte von Beginn an nicht, war ich doch immer schon nahezu pleite. Völlig apekunisch zu leben jedoch, ohne jegliche Geldanwendung, erforderte eine totale Kehrtwende im Denken, Fühlen, Handeln. Diese Lebensweise erschloß sich nicht jedem auf Anhieb, so daß ich bald beschloss, eine möglichst große Entfernung zu anderen Hominiden zu suchen. Für diese war ich zu einem Wesen jenseits der Welt geworden, da ich nicht einmal Almosen annahm. Wenn ich um etwas bettelte, dann um höhere Eingebung.
Als ideal hatte sich die Atacama Wüste herausgestellt, die trockenste der Erde. Hier war nun wirklich nichts zu finden außer Nichts und darum musste sie hier sein, die Lösung. Wobei mir nach 40 Tagen und 40 Nächten alles so was von egal war, dass ich nicht einmal mehr die Entschleierung sämtlicher Geheimnisse des Universums für Wert befunden hätte, mich damit zu beschäftigen. Meine Gehirnaktivität glich der eines Kieselsteins , meine Gefühle waren die von Sternen und das Fehlen jeglichen Begehrs konnte nicht einmal mehr von Gautama getoppt werden.
In diesem Zustand, den andere normalerweise nutzen, um Religionen zu basteln, nahe am Urknall, traf ich zu meinem größten Erschrecken auf einen anderen, welcher sogleich zu reden begann. Offensichtlich ahnte er nicht, dass dem, der sich dem Klang der Sprache entwöhnt hat, alle Laute gleich klingen, etwa dem Geräusch, das Heuschrecken beim Poppen machen (wobei man sie während dieser Verrichtung besonders leicht fangen kann. Erigierter Heuschreckenpimmel ist äußerst schmackhaft, aber das nur am Rande) und so begriff er nicht gleich, dass ich ihn überhaupt nicht verstand.
Da es sich bei ihm aber um einen Österreicher handelt, der es gewöhnt ist, nicht verstanden zu werden, legte er eine bewundernswerte Geduld an den Tag. Nach und nach kam ich hinter den Sinn seiner Laute: Sein Name sei Karl Kasteneder, er wandele schon eine Ewigkeit durch die Wüsten dieser Erde, immer auf der Suche nach Dem Einen Kaktus, nach dessen Verzehr man an der Seite der Götter lande und fürderhin ein erleuchtetes, bequemes und ewiges Leben zu führen das Recht habe. Nun habe er gerade eben erst ein Exemplar gefunden einer Gattung, die vollkommen unbeschrieben und unbekannt sei, von der er aber in seinen Träumen immer schon gewusst und nach der er sich ewig gesehnt habe. Er sei sich sicher, daß dieser Pilz den legendären Wirkstoff Atacamin enthalte, von dem die Hohepriester der Inka berichteten . Diese Substanz habe die Eigenschaft, ihren Konsumenten völlig zu dehydrieren, zu einem feinen Pulver zerfallen zu lassen. Dieses Pulver wiederum, von einem Eingeweihten im Zustand geistiger Umnachtung eingenommen unter Befolgung gewisser geheimer Riten, ließe den Verschiedenen wiedererstehen im Zustand der Gnade und verhülfe demjenigen, der ihm verholfen hatte, zu absoluter Glückseligkeit. Ein perfektes Geschäft, ein Angebot, zu dem ich nicht Nein sagen konnte.
Schweigend aß ich den Pilz, ohnehin war gerade Fütterzeit. Nach einer Weile stellte sich ein Gefühl der Zeitlosigkeit ein, ich begann, Jahrhunderte zu verschieben, spielte Domino mit Äonen, Schach gegen Jahrmillionen und Poker mit Ewigkeiten, bis ich plötzlich eine Vision hatte: eine Scheibe, die sich fortwährend um, in und außer sich drehte, Worte in einer mir unbekannten Sprache murmelnd, die ich dennoch begriff. "Ich", sagte sie, "bin der Urgrund der Finanzen, das Wesen des Geldes, die vornehmste, die Mutter aller Münzen. Ich werde dir leuchten durch klamme Nächte, finanzielle Engpässe, auf der Höhe der Pleiten. Glaube an mich, verehre mich, gib mich aus, so will ich mannigfaltigst zurückkehren zu dir und dich bescheuert bereichern. Folge dem Südstern und finde mich!"
Allmählich kam ich wieder zu mir und sah, dass Karl mittlerweile zu einem feinen Pulver zerfallen war. Ich packte seine Überreste zur späteren Verwendung in die Zellophanhülle einer Camel-Packung, die sich mir unverlangt zugeweht hatte und folgte den Anweisungen meiner Vision. Lange lief, stolperte und kroch ich durch die Wüste, bis ich endlich ein kleines Küstendorf erreichte. Mein Anblick barmte die Eingeborenen derart, daß sie mich mit Fisch bewarfen. Wieder zu Kräften gekommen, begab ich mich auf den Weg nach Cuzco. Dort, in einer Höhle unter dem Grab des Atahualpa, würde ich sie finden, die ultimative Geheimwaffe gegen die Regentschaft des Geldes.
In den letzten Tagen seiner Herrschaft hatte der Herrscher alle Hohepriester des Reiches versammelt mit dem Auftrag, eine Wehr zu finden der Geldgier seiner Widersacher, einen Talisman, eine Geheimwaffe. Die Weisen schmolzen sämtliche Vorräte an Blaugold ein, eines Edelmetalls, das seltener war als Sauerstoffatome im Weltall. Die Herstellung eines Mikrogramms hatte tausende von Jahren und unzählige Herzen geopferter Feinde erfordert. Leider erfolgte die Herstellung des Prototyps erst im Moment, da der Spanier die letzte Bastion des indigenen Widerstands schleifte. Einer der Hohepriester verschluckte die mikroskopisch kleine Münze und ließ sich stoisch abschlachten, nicht ohne beständig "Isch bin Atahualpa" zu rufen. So wurde er an des Königs Statt mit militärischen Unehren begraben.
Das relativ geringe Alter dieses Geldstücks war egal, seine Idee hatte schon existiert vor der Erfindung des Tauschhandels, weit vor der Entdeckung der Seltenheit gewisser Metalle, praktisch seit Anbeginn der Zeiten: Bekämpfe deine Feinde, indem du dich ihrer Methoden bedienst. Benutze das Geld, um es zu zerstören. Die Macht des Goldes kann nur selbst es brechen. Oder so ähnlich.
In Cuzco angekommen, begann ich einen schwunghaften Handel mit "La Nina" Figuren, von welchen ich den Touristen erzählte, dass sie, zuhause angekommen und in heimische Gewässer geworfen, dem Klimawandel entgegenwirken könnten in einem bewahrenden Sinne. Moderne Konservative kümmern sich nicht um die Bewahrung der Vergangenheit, sondern um die der Zukunft.
Bald gedieh mein Handel derart, dass ich die Hälfte der Bevölkerung in Lohn und Brot hielt. Nun konnte ich mir eine professionelle Expedition leisten. Mit Hacken und Grabschaufeln und der gekauften Einwilligung korrupter Beamter versehen, ging es in Kompaniestärke in den Urwald. Nachdem wir alle Jaguare, Kaimane und Flamingos verzehrt und die Baumbestände verheizt hatten, stießen wir endlich auf das gesuchte Grab. Nur noch eine Steinplatte entfernt und ich hatte sie endlich in Händen, die Endlösung aller wirtschaftlichen Probleme. Philosophen hatten nach der Antwort gesucht, zahlreiche Smiths ihr ganzes Wissen verbraucht, Marxisten Leninisten in die eigene Irre geführt, Neoliberale waren verzweifelt an der Frage: Warum haben einige wenig und andere viel? Eine Frage, die schon ein Kindergartenkind nicht befriedigend zu beantworten in der Lage sein kann.
Ich aber wusste: mit Hilfe dieser Wundermünze würden alle gleich viel und gleich wenig haben, gleichmäßig verteilt über die Welt. Alle nationalen Währungen und Eigenheiten würden verschwinden, Pfund, Yen, Euro, egal. Gold und Silber werden herumliegen, wer braucht, dem wird gegeben, wer nichts braucht, dem wird genommen.
Das Paradies war da. Triumphierend stand ich auf dem Grabhügel, ließ die Münze in der aufgehenden Sonne ergleißen, wartete auf den Beifall der Götter. Indizes stürzten, Märkte verschwanden, der Dow Jones erbrach sich. Ein-Euro Läden schlossen, Hühner weigerten sich, Eier zu legen, das Gemüse verkümmerte am Boden, Arbeiter verweigerten das Fabriken, irgendwas lief schief. Jeglicher Tauschhandel war zum Erliegen gekommen, die Produzenten produzierten und die Konsumenten konsumierten nichts mehr.
Da mir auch das nicht die Antwort schien, warf ich die Münze zurück in die Grube, bewarf sie mit Erde und begab mich zurück in die Wüste. Will mich dort einer besuchen, ich habe noch etwas Pilz.

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